Freitag, 4. September 2015

Rob Rock - Rage Of Creation


Die Hitze verschwindet, die Nächte werden endlich länger, die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn nimmt zu, und das Bedürfnis, mich mitzuteilen, wächst.

Das Album, das ich heute hier vorstellen möchte, feierte am 26. Juli seinen fünfzehnten Geburtstag. Im Jahr 2000 erscheinen viele Scheiben, die für mich essentiell sind (Halford – Resurrection, Jacob’s Dream – same, Ayreon – Universal Migrator, Jag Panzer – Thane to the Throne, Helloween – The Dark Ride, Iron Maiden – Brave New World, Nevermore – D.H.I.A.D.W. und viele mehr). Weshalb mir dieses Album auch anderthalb Jahrzehnte später immer noch unglaublich gut gefällt und es sich mindestens so gut gehalten hat, wie die oben genannten? Ich denke, weil es die Welten Rock und Melodic Metal ein Stück weit verbindet, und es treffen US-Songwriting auf europäisches Melodieverständnis – ähnlich wie bei so manchem Riot-Song.

Aber genug geschwafelt, kommen wir zum wichtigen Teil:

The Sun Will Rise Again

Nach dem kurzen Intro direkt ein schnelles Gitarrenlead, flottes Tempo, kurze und schmerlose Strophe und ein Hammerrefrain. Das ist eingängig und melodisch, aber weder zu soft noch – trotz verspieltem Solo – kein neoklassischer Stratovarius-Metal. Hit. Textlich kommt bereits das stets hoffnungsvolle Gemüt des christlichen Double-Rs zum Vorschein, ohne belehrend zu sein oder in den White Metal abzudriften – was ihm seltsamerweise manchmal zum Vorwurf gemacht wird.

One Way Out

Rockiger als der Opener, dennoch flott und auf den Punkt. Erinnert mich ein wenig an seinen ganz kurzfristigen Brötchengeber Pell. Neben dem gelungenen, minimalen Refrain (der manchem sicher zu oft wiederholt wird, wenn auch nie in Maiden-Maßstäben) gefällt vor allem das tolle Solo, das einigen Raum in der kurzen Nummer bekommt. Roy Z. wird als Klampfer unterschätzt.

Judgement Day

Der längste Song des Albums. Stakkatoriffing trifft zu Beginn auf düsteren Gesang, um dann in einem großen Refrain aufzugehen. Später, nach drei Minuten, wird das Tempo angezogen, die Gitarren klassischer. Auf Halfords Crucible – die später erschien und ebenfalls von Roy Z. produziert wurde - gab es manche Stelle, da musste ich an den Song hier denken. Wir haben es hier dennoch nicht mit einem klinischen Pantera- oder Jugulator-Song zu tun, allein schon der Gesang, die Leads und der variable Verlauf der Nummer sorgen für einen oldschooligen Charakter.

Streets Of Madness

Mein Liebling der Scheibe. Man muss beim dramatischen Aufbau und der Gitarrenarbeit zwangsweise an Iced Earth denken, wenn auch nicht mit deren Härtegrad, wofür vor allem der immer melodische Gesang verantwortlich ist. Dieser Song ist einfach ein Hit, fertig aus.

Eagle

Die Harren Rock und Ramirez schaffen hier, was nur ganz wenigen gelingt: sie interpretieren eine Fremdkomposition dermaßen schlüssig und eigenständig, dass daraus ein vollwertiger, eigener Song wird. Ich kenne abgesehen von der priesterlichen Interpretation von Diamonds And Rust kein weiteres Beispiel, wo dies so konsequent umgesetzt wurde. Der schleppende Groove und der unglaublich epische Vortrag von Rock lassen diesen Abba-Song zu einer Perle werden, die an Sabbath mit Dio erinnert. Erhaben und verträumt.

All I Need

Nach drei metallischen Höhepunkten am Stück eine kurze, rockige Verschnaufpause. Das ist toller AOR mit dezent metallischer Kante, in den 80ern mit entsprechendem Airplay hätte ein solcher Song wohl etwas reißen können. Heute sorgt er für mich in erster Linie für Abwechslung und erweitert das Album um eine Facette, ohne jedoch unverzichtbar zu sein.

Media Machine

Im Gegensatz hierzu. Das eröffnende Riff schreit sehr nach Bark At The Moon, was mich aber nur so lange verstimmt hat, bis ich in den Credits gelesen habe, dass tatsächlich Jake E. Lee hier zu hören ist. Rob Rock zeigt hier, wie er einen Song interpretiert, der von Badlands oder Ozzy stammen könnte. Und da er sowohl Ozzy als auch Ray Gillen stimmlich überlegen ist (yeah!) klappt das super. Toller Song, platter Kritiktext hin oder her.

In The Night

Das Liebesballadenintro schreckt zuerst ab, nach dem Intro rettet sich die Nummer aber zu einem passablen Stampfer, der dem Interpreten inhaltlich sicherlich wichtig ist, über „ach ja, hm“ nicht hinauskommt. Im Schlusspart packt Rock kurz hohe Schreie aus, die richtig gut reinlaufen. Schade.

Never Too Late

Wieder an der Grenze von US-Rock zu melodischem Metal, wieder schlicht, aber effektiv. Neben dem Opener der Song, der auf der lyrischen Ebene die Lebenseinstellung Rocks am besten zur Geltung bringt. Entsprechend singt er mit Herzblut und Überzeugtheit – einer der Nummern, die durch die vokale Interpretation auf einen anderen Level gehoben wird – wenn man ähnlich gesangsfixiert wie ich ist und ähnliche stimmliche Vorlieben hat.

Forever

Wieder eine Liebesnummer – love of my life. Himmel, ja, textlich regiert hier der Kitsch, keine Frage. Musikalisch ist alles im grünen Bereich, auch wenn der Solopart dieses Mal wirklich sehr europäisch klingt. Trotzdem gilt, wie beim Vorgänger: der Gesang macht aus einer vermeintlich kitschigen Nullnummer einen gelungenen Song.

Abschließend, nach der ganzen subjektiven Schwärmerei trotz diverser objektiver Kritikpunkte, noch ein paar Worte zum oft gescholtenen Roy Z.: einige seiner Arbeiten als Produzent leiden unter dumpfem Gitarrensound (Accident Of Birth, The Chemical Wedding) oder, was ich schlimmer finde, blechernen Drumsampels (Made Of Metal, Holy Hell). Nicht so bei Rage Of Creation. Meiner Meinung nach ist der Sound absolut stimmig, differenziert und immer auf Rocks Stimme ausgerichtet. Toll. Über die starke gesangliche Leistung braucht man hoffentlich keine Worte zu verlieren, Rob gehört zweifelsohne zu den allergrößten seines Metiers.

Ein wenig bedauere ich, dass nach immerhin 4 Soloalben zwischen 2000 und 2007 bislang keine weiteren nachkamen – wobei man anmerken muss, dass die Scheiben 2 bis 4 zwar gut, aber nicht so herausragend wie die Rage Of Creation sind.

Auf die nächsten 15 Jahre!