Die Hitze verschwindet, die Nächte werden endlich länger, die
Sauerstoffzufuhr zum Gehirn nimmt zu, und das Bedürfnis, mich mitzuteilen, wächst.
Das Album, das ich heute hier vorstellen möchte, feierte am
26. Juli seinen fünfzehnten Geburtstag. Im Jahr 2000 erscheinen viele Scheiben,
die für mich essentiell sind (Halford – Resurrection, Jacob’s Dream – same,
Ayreon – Universal Migrator, Jag Panzer – Thane to the Throne, Helloween – The
Dark Ride, Iron Maiden – Brave New World, Nevermore – D.H.I.A.D.W. und viele
mehr). Weshalb mir dieses Album auch anderthalb Jahrzehnte später immer noch
unglaublich gut gefällt und es sich mindestens so gut gehalten hat, wie die
oben genannten? Ich denke, weil es die Welten Rock und Melodic Metal ein Stück
weit verbindet, und es treffen US-Songwriting auf europäisches
Melodieverständnis – ähnlich wie bei so manchem Riot-Song.
Aber genug geschwafelt, kommen wir zum wichtigen Teil:
The Sun Will Rise Again
Nach dem kurzen Intro direkt ein schnelles Gitarrenlead,
flottes Tempo, kurze und schmerlose Strophe und ein Hammerrefrain. Das ist
eingängig und melodisch, aber weder zu soft noch – trotz verspieltem Solo –
kein neoklassischer Stratovarius-Metal. Hit. Textlich kommt bereits das stets
hoffnungsvolle Gemüt des christlichen Double-Rs zum Vorschein, ohne belehrend
zu sein oder in den White Metal abzudriften – was ihm seltsamerweise manchmal
zum Vorwurf gemacht wird.
One Way Out
Rockiger als der Opener, dennoch flott und auf den Punkt.
Erinnert mich ein wenig an seinen ganz kurzfristigen Brötchengeber Pell. Neben
dem gelungenen, minimalen Refrain (der manchem sicher zu oft wiederholt wird,
wenn auch nie in Maiden-Maßstäben) gefällt vor allem das tolle Solo, das
einigen Raum in der kurzen Nummer bekommt. Roy Z. wird als Klampfer
unterschätzt.
Judgement Day
Der längste Song des Albums. Stakkatoriffing trifft zu
Beginn auf düsteren Gesang, um dann in einem großen Refrain aufzugehen. Später,
nach drei Minuten, wird das Tempo angezogen, die Gitarren klassischer. Auf
Halfords Crucible – die später erschien und ebenfalls von Roy Z. produziert
wurde - gab es manche Stelle, da musste ich an den Song hier denken. Wir haben
es hier dennoch nicht mit einem klinischen Pantera- oder Jugulator-Song zu tun,
allein schon der Gesang, die Leads und der variable Verlauf der Nummer sorgen für
einen oldschooligen Charakter.
Streets Of Madness
Mein Liebling der Scheibe. Man muss beim dramatischen Aufbau
und der Gitarrenarbeit zwangsweise an Iced Earth denken, wenn auch nicht mit
deren Härtegrad, wofür vor allem der immer melodische Gesang verantwortlich
ist. Dieser Song ist einfach ein Hit, fertig aus.
Eagle
Die Harren Rock und Ramirez schaffen hier, was nur ganz
wenigen gelingt: sie interpretieren eine Fremdkomposition dermaßen schlüssig
und eigenständig, dass daraus ein vollwertiger, eigener Song wird. Ich kenne
abgesehen von der priesterlichen Interpretation von Diamonds And Rust kein
weiteres Beispiel, wo dies so konsequent umgesetzt wurde. Der schleppende
Groove und der unglaublich epische Vortrag von Rock lassen diesen Abba-Song zu
einer Perle werden, die an Sabbath mit Dio erinnert. Erhaben und verträumt.
All I Need
Nach drei metallischen Höhepunkten am Stück eine kurze,
rockige Verschnaufpause. Das ist toller AOR mit dezent metallischer Kante, in
den 80ern mit entsprechendem Airplay hätte ein solcher Song wohl etwas reißen
können. Heute sorgt er für mich in erster Linie für Abwechslung und erweitert
das Album um eine Facette, ohne jedoch unverzichtbar zu sein.
Media Machine
Im Gegensatz hierzu. Das eröffnende Riff schreit sehr nach
Bark At The Moon, was mich aber nur so lange verstimmt hat, bis ich in den
Credits gelesen habe, dass tatsächlich Jake E. Lee hier zu hören ist. Rob Rock
zeigt hier, wie er einen Song interpretiert, der von Badlands oder Ozzy stammen
könnte. Und da er sowohl Ozzy als auch Ray Gillen stimmlich überlegen ist
(yeah!) klappt das super. Toller Song, platter Kritiktext hin oder her.
In The Night
Das Liebesballadenintro schreckt zuerst ab, nach dem Intro
rettet sich die Nummer aber zu einem passablen Stampfer, der dem Interpreten
inhaltlich sicherlich wichtig ist, über „ach ja, hm“ nicht hinauskommt. Im
Schlusspart packt Rock kurz hohe Schreie aus, die richtig gut reinlaufen.
Schade.
Never Too Late
Wieder an der Grenze von US-Rock zu melodischem Metal,
wieder schlicht, aber effektiv. Neben dem Opener der Song, der auf der
lyrischen Ebene die Lebenseinstellung Rocks am besten zur Geltung bringt.
Entsprechend singt er mit Herzblut und Überzeugtheit – einer der Nummern, die
durch die vokale Interpretation auf einen anderen Level gehoben wird – wenn man
ähnlich gesangsfixiert wie ich ist und ähnliche stimmliche Vorlieben hat.
Forever
Wieder eine Liebesnummer – love of my life. Himmel, ja,
textlich regiert hier der Kitsch, keine Frage. Musikalisch ist alles im grünen
Bereich, auch wenn der Solopart dieses Mal wirklich sehr europäisch klingt.
Trotzdem gilt, wie beim Vorgänger: der Gesang macht aus einer vermeintlich
kitschigen Nullnummer einen gelungenen Song.
Abschließend, nach der ganzen subjektiven Schwärmerei trotz
diverser objektiver Kritikpunkte, noch ein paar Worte zum oft gescholtenen Roy
Z.: einige seiner Arbeiten als Produzent leiden unter dumpfem Gitarrensound
(Accident Of Birth, The Chemical Wedding) oder, was ich schlimmer finde,
blechernen Drumsampels (Made Of Metal, Holy Hell). Nicht so bei Rage Of
Creation. Meiner Meinung nach ist der Sound absolut stimmig, differenziert und
immer auf Rocks Stimme ausgerichtet. Toll. Über die starke gesangliche Leistung
braucht man hoffentlich keine Worte zu verlieren, Rob gehört zweifelsohne zu
den allergrößten seines Metiers.
Ein wenig bedauere ich, dass nach immerhin 4 Soloalben
zwischen 2000 und 2007 bislang keine weiteren nachkamen – wobei man anmerken
muss, dass die Scheiben 2 bis 4 zwar gut, aber nicht so herausragend wie die
Rage Of Creation sind.
Auf die nächsten 15 Jahre!